Entschädigung für überlange Verfahrensdauer? (BVerwG)
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in zwei Verfahren erstmals mit dem Ende 2011 geschaffenen Entschädigungsanspruch wegen überlanger Dauer von Gerichtsverfahren befasst.
Nach § 198 GVG kann ein Verfahrensbeteiligter, der infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens oder strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens einen Nachteil erleidet, angemessen entschädigt werden. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Die Entschädigung für immaterielle Nachteile beträgt nach dem Gesetz grundsätzlich 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung.
Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch festgestellt, dass es für die Unangemessenheit der Verfahrensdauer keine festen Richtwerte gibt. Angesichts der Vielschichtigkeit und Vielgestaltigkeit der Verfahren ist es in Verwaltungsprozessen in der Regel auch nicht möglich, sich an angenommenen oder statistisch ermittelten Verfahrenslaufzeiten zu orientieren. Vielmehr sei vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht insoweit zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind.
Im ersten Verfahren ging es um die Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer für einen Rechtsstreit über die Rückzahlung von Ausbildungsförderung (in Höhe von 17 .00 €), der in erster Instanz sechseinhalb und in zweiter Instanz knapp zwei Jahre gedauert hatte. Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass eine Bearbeitungszeit von zwei Jahren nach Entscheidungsreife nicht angebracht war. Es hat die Verfahrensverzögerung von von mindestens fünf Jahren angenommen, die sachlich nicht zu rechtfertigen war. Schließlich war das Verfahren einfach gelagert und der Rückforderungsbetrag wegen seiner Höhe von nicht unerheblicher Bedeutung. Soweit die Verzögerung auf einer erheblichen Arbeitsüberlastung des Verwaltungsgerichts beruhte, konnte dies nicht als Rechtfertigung dienen, sondern war dem beklagten Land zuzurechnen. Dieses ist gehalten, strukturellen Mängeln etwa durch eine bessere Personalausstattung des Gerichts abzuhelfen.
Gegenstand des zweiten Verfahrens war der Entschädigungsanspruch einer Polizistin, die gegen ihre Umsetzung in ein anderes Polizeirevier geklagt hatte und beim Verwaltungsgericht zwei Jahre auf eine mündliche Verhandlung warten musste. Nach den besonderen Umständen des Einzelfalles hätte in diesem einfach gelagerten Rechtsstreit, der für die Klägerin von nicht unerheblicher Bedeutung war, eine mündliche Verhandlung ein Jahr früher stattfinden müssen, zumal das Verwaltungsgericht bereits in einem früheren Verfahren mit der Umsetzung befasst war. Der Klägerin steht daher eine Entschädigung für die materiellen und immateriellen Nachteile zu. Durch die Verzögerung sind ihr zusätzliche Fahrtkosten von über 1 800 € entstanden, die zu erstatten waren.
Die Vorschrift sieht eine erhebliche Verkürzung der derzeit laufenden Gerichtsverfahren vor. Derzeit kann es vorkommen, dass nach Entscheidungsreife zwei bis drei Jahre für die Terminierung der mündlichen Verhandlung beim Finanzgericht Berlin angesetzt werden. Hier ist eine Verzögerungsrüge geboten und eine mögliche Entschädigung für überlange Verfahrensdauer zu beantragen.
Quelle
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. Juli 2013, Aktenzeichen BVerwG 5 C 23.12 D (Vorinstanz: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. März 2012, Aktenzeichen 3 A 1.12) in NJW 1-2/2014, S. 96-104
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. Juli 2013, Aktenzeichen BVerwG 5 C 27.12 D (Vorinstanz: OVG Magdeburg, 25. Juli 2012, Aktenzeichen 7 KE 1/11).
Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung.php?jahr=2013&nr=49