Umsatzsteuer: Steuerbefreiung für Ärzte prüfen (OFD)
Ärzte gehen regelmäßig davon aus, dass sie aufgrund der Steuerbefreiung für ärztliche Leistungen nichts mit der Umsatzsteuer zu tun haben.
Dies trifft aber nur für Leistungen zu, die der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten dienen. Leistungen, die diese Kriterien nicht erfüllen, unterliegen dagegen der Umsatzsteuer!
Neue Verwaltungsanweisung
In Ergänzung zum Umsatzsteuer-Anwendungserlass (Abschn. 4.14.1 Abs. 5 UStAE) listet die OFD Karlsruhe einen umfangreichen Katalog ärztlicher Leistungen auf und erläutert, ob diese umsatzsteuerpflichtig oder von der Umsatzsteuer befreit sind. Hierbei wird insbesondere auf ärztliche Gutachten, Berufsuntauglichkeitsuntersuchungen und ähnliche Leistungen eingegangen, die im Hinblick auf die Umsatzsteuer als kritisch einzustufen sind.
Konsequenz
Ärzte, insbesondere solche, die Gutachten erstellen, sollten die Verfügung zum Anlass nehmen, ihre Leistungen hinsichtlich ihrer Steuerfreiheit zu überprüfen. Werden steuerpflichtige Leistungen erbracht, so besteht nur dann die Verpflichtung zur Abführung von Umsatzsteuer, wenn diese Umsätze die Grenze für Kleinunternehmer (17.500 EUR) überschreiten. Ergibt sich eine Umsatzsteuerpflicht, so verteuert dies regelmäßig die ärztlichen Leistungen, soweit sie gegenüber Privaten erbracht werden. Allerdings können sich im Einzelfall auch Vorteile ergeben, da die Steuerpflicht den Vorsteuerabzug aus bezogenen Leistungen, z.B. Investitionen, eröffnet.
Hinweis
Die steuerlichen Berater von Ärzten stehen häufig vor dem Problem, dass sie selten die einzelnen Rechnungen der Ärzte im Rahmen der Finanzbuchhaltung zu sehen bekommen, sondern lediglich die Abrechnungen der Abrechnungsstellen. Selbst wenn die Rechnungen vorliegen, dürfte es schwierig sein, zu erkennen, ob es sich um eine steuerbefreite Leistung handelt. Es bietet sich daher an, den Leistungskatalog des betreuten Arztes, gemeinsam mit diesem im Hinblick auf die Umsatzsteuer zu analysieren und ggf. Vorkehrungen zu treffen, dass die korrekte umsatzsteuerliche Erfassung gewährleitstet ist.
OFD Karlsruhe, Verfügung vom 5.4.2011, S 7170 - Karte 3
Leistungen eines Arztes sind nur dann nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der MwStSystRL steuerfrei, wenn sie der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen dienen (vgl. EuGH-Urteil vom 14.9.2000, C-384/98, UR 2000 S. 432).
§ 4 Nr. 14 UStG ist im Sinne des o.g. EuGH-Urteils auszulegen. Dies gilt unabhängig davon, um welche konkrete heilberufliche Leistung es sich handelt (z.B. Untersuchung, Attest, Gutachten), für wen sie erbracht wird (Patient, Gericht, Sozialversicherung o.a.) und wer sie erbringt (freiberuflicher oder angestellter Arzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Unternehmer, der ähnliche heilberufliche Tätigkeiten nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG ausübt, sowie Krankenhäuser, Kliniken oder andere in § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG bezeichnete Einrichtungen).
1. Steuerpflichtige Umsätze
Neben den in Abschn. 4.14.1 Abs. 5 UStAE genannten Tätigkeiten liegt auch in folgenden Fällen keine Heilbehandlungsleistung vor:
1.1. Gutachten für rechtliche Verfahren
- Alkohol- und Drogen-Gutachten zur Untersuchung der Fahrtüchtigkeit;
- Blutalkoholuntersuchungen für gerichtliche Zwecke in Einrichtungen ärztlicher Befunderhebung. Die Feststellung des Zustands der Organe, Gewebe, Körperflüssigkeiten usw. in Einrichtungen ärztlicher Befunderhebung ist nur dann nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei, wenn sie für diagnostische oder therapeutische Zwecke erfolgt.
- Medizinisch-psychologische Gutachten über die Fahrtauglichkeit;
- anthropologisch-erbbiologische Gutachten;
- Blutgruppenuntersuchungen und DNA-Analysen z.B. im Rahmen der Vaterschaftsfeststellung oder zur Spurenauswertung;
- Gutachten, die im Rahmen von Strafverfahren erstattet werden;
- forensische Gutachten, sowohl zur Frage der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) als auch zur Frage der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt (§§ 63, 64 StGB);
- Gutachten für Staatsanwaltschaft und Gerichte zur Klärung des Kausalzusammenhangs zwischen ärztlicher Fehlbehandlung und einer Gesundheitsstörung bzw. dem Todeseintritt;
- Prognosegutachten, die im Rahmen des Strafvollzugs erstattet werden;
- Untersuchung und Begutachtung durch Vertragsärzte zur Feststellung von Beschädigungen, wenn diese Leistungen nicht der (weiteren) medizinischen Betreuung dienen sollen, sondern z.B. als Grundlage für eine Entschädigungsleistung;
- Gutachten über die Minderung der Erwerbsfähigkeit in Schadensersatzprozessen;
- Gutachten, Berichte und Bescheinigungen, die der schriftlichen Kommunikation unter Ärzten dienen, z.B. bei Fragen der Schadensersatzleistung, auch bei öffentlich-rechtlicher Berichtspflicht;
- Gutachten im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Physiotherapie in straf-, zivil- oder familienrechtlichen Verfahren;
- Vergütungen für Sachverständigentätigkeit nach § 10 Abs. 1 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) i.V. mit Anlage 2 Nr. 202 und 203 des JVEG.
- Soweit der sachverständige Zeuge nach § 10 Abs. 1 JVEG i.V. mit Anlage 2 Nr. 200 und 201 des JVEG vergütet wird, liegt nicht steuerbarer Schadensersatz vor. Ob jemand als Zeuge, sachverständiger Zeuge oder Sachverständiger anzusehen ist, richtet sich nach der tatsächlich erbrachten Tätigkeit, nicht nach einer ggf. abweichenden Abrechnung. Ausschlaggebend ist dabei, ob er als Zeuge "unersetzlich" oder "auswechselbar" ist.
1.2. Gutachten für Verfahren der Sozialversicherungen
- Gutachten über die Minderung der Erwerbsfähigkeit in Sozialversicherungsangelegenheiten, in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung;
- gutachterliche Feststellungen zum voraussichtlichen Erfolg von Rehabilitationsleistungen im Rahmen eines Rentenverfahrens, da hier ein Rentenantrag Anlass für das ärztliche Tätigwerden ist. Der Aspekt "Rehabilitation vor Rente" führt auch nicht dazu, dass die medizinische Betreuung in den Vordergrund tritt, da es insoweit in erster Linie darum geht, Rentenleistungen nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt erbringen zu müssen.
- Gutachten nach § 12 Abs. 1 der Psychotherapie-Vereinbarung zur Klärung, ob die Therapiekosten von den gesetzlichen Krankenkassen getragen werden;
- externe Gutachten für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung;
- Gutachten zur Feststellung der Voraussetzungen von Pflegebedürftigkeit oder zur Feststellung, welche Stufe der Pflegebedürftigkeit vorliegt (§ 18 Abs. 1 SGB XI). Hier stehen Fragen nach Art und Umfang der erforderlichen Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 SGB XI) im Vordergrund, die ggf. auch zu treffenden Feststellungen zu Fragen der Behandlungspflege treten dahinter zurück.
- Gutachten eines Dritten zur vorgeschlagenen ärztlichen Behandlung, zahnärztlichen Behandlung, der Verordnung von Arzneimitteln und zur vorgeschlagenen kieferorthopädischen Behandlung und der Versorgung mit Zahnersatz (zahnprothetische Behandlungen) zum Zwecke der Kostenübernahme durch die Krankenkasse (§ 12 SGB V);
- Gutachten im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, wenn nicht der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit der untersuchten Person im Vordergrund steht;
- Gutachten über den Kausalzusammenhang zwischen einem rechtserheblichen Tatbestand und einer Gesundheitsstörung;
- Gutachten für Berufsgenossenschaften oder Versicherungen zur Frage des Kausalzusammenhangs von bestimmten Vorerkrankungen und dem Todeseintritt des Versicherten.
1.3. Sonstige Gutachten für private Zwecke
- Sportmedizinische Untersuchungs- und Beratungsleistungen, die der Feststellung von Trainingsfortschritten oder der Optimierung der Trainingsgestaltung dienen;
- reisemedizinische Untersuchungs- und Beratungsleistungen, wenn hierüber eine Bescheinigung ausgestellt wird, die Grundlage für eine Entscheidungsfindung eines Dritten ist;
- Gutachten über den Gesundheitszustand als Grundlage für Versicherungsabschlüsse;
- Untersuchungen; zur Ausstellung bzw. Verlängerung von Schwerbehindertenausweisen.
1.4. Gutachten im Todesfall
- Gutachten über die Tatsache oder Ursache des Todes. Dies gilt nicht für die unter 2.4 genannten Leistungen.
- Genehmigung zur Feuerbestattung (sog. 2. Leichenschau).
1.5. Berufstauglichkeitsuntersuchungen
- Musterungs-, Tauglichkeits- und Verwendungsfähigkeitsuntersuchungen und -gutachten, da diese dem Anlass der Beurteilung für den (künftigen) Dienstherrn dienen, ob der Bewerber für eine bestimmte Verwendung geeignet ist. Die Umsatzsteuerpflicht besteht selbst dann, wenn durch eine derartige Untersuchung die Verschlimmerung einer bestehenden Erkrankung vermieden werden soll, da ein therapeutisches Ziel nicht im Vordergrund steht.
- Untersuchungen, bei denen die Frage der Tauglichkeit des Untersuchten für eine bestimmte Tätigkeit im Vordergrund steht, z.B. bei Flugtauglichkeitsuntersuchungen. Hierbei handelt es sich nicht um Vorsorgeuntersuchungen.
- Zeugnisse oder Gutachten über das Seh- und Hörvermögen;
- Röntgenaufnahmen, die für steuerpflichtige Gutachten, z.B. des TÜV zur Berufstauglichkeit, erstellt werden;
- psychologische Tauglichkeitstests, die sich ausschließlich auf die Berufsfindung erstrecken.
1.6. Sonstige Untersuchungen
- Experimentelle Untersuchungen bei Tieren im Rahmen der wissenschaftlichen Forschung;
- Gutachten über die Freiheit des Trinkwassers von Krankheitserregern und über die chemische Zusammensetzung des Wassers;
- dermatologische Untersuchungen von kosmetischen Stoffen;
- Gutachten über die pharmakologische Wirkung eines Medikaments beim Menschen.
1.7. Sonstige ärztliche Leistungen
- ärztliche Leistungen der Schönheitschirurgen, wenn kein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht (vgl. Abschn. 4.14.1 Abs. 5 Nr. 8 UStAE). Gleiches gilt für vergleichbare Leistungen der Dermatologen oder Anästhesisten.
- Entnahme, Beförderung und Analyse von Nabelschnurblut sowie die Lagerung der in diesem Blut enthaltenen Stammzellen, sofern eine damit zusammenhängende ärztliche Heilbehandlung weder stattgefunden hat noch begonnen wurde oder geplant ist (EuGH-Urteil vom 10.6.2010, C-262/08, UR 2010 S. 526);
- ärztliche Anzeigen über eine Berufskrankheit als Entscheidungsgrundlage für die Kostenübernahme des Unfallversicherungsträgers, soweit nicht nach Nr. 2 steuerfrei;
2. Steuerfreie Umsätze
Die folgenden Leistungen sind steuerfrei:
2.1. Gutachten für rechtliche Verfahren
- Körperliche Untersuchung von Personen im Polizeigewahrsam zur Überprüfung der Verwahrfähigkeit in der Zelle (alternativ erforderliche Krankenhauseinweisung).
2.2. Gutachten für Verfahren der Sozialversicherungen
- Gutachten zu medizinischen Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen (Aussagen zu Rehabilitationsbedürftigkeit, -fähigkeit, -prognose und Therapieempfehlung), auch wenn der Arzt zu dem Ergebnis gelangt, dass der Patient nicht rehabilitierbar ist, sondern eine dauerhafte Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit gegeben ist;
- Gutachten zur Hilfsmittelversorgung und zur häuslichen Krankenpflege, da in diesen genannten Aufgabenfeldern ein therapeutisches Ziel bzw. eine therapeutische Entscheidung im Mittelpunkt steht;
- die Erstellung einer ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit als Entscheidungsgrundlage für die Kostenübernahme des Unfallversicherungsträgers, sofern diese im Rahmen einer Untersuchungs- und Behandlungsleistung, bei der insgesamt ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht, erbracht wird (vgl. Nr. 1.2).
2.3. Sonstige Gutachten für private Zwecke
- sport- und reisemedizinische Untersuchungs- und Beratungsleistungen, soweit nicht nach Nr. 1.3 steuerpflichtig sind.
2.4. Gutachten im Todesfall
- Obduktionen, die im Falle des Seuchenverdachts für Kontaktpersonen von therapeutischer Bedeutung sind;
- die Durchführung der äußeren Leichenschau und Ausstellen der Todesbescheinigung als letzte Maßnahme im Rahmen der Heilbehandlung.
2.5. Sonstige ärztliche Leistungen
- Vorsorgeuntersuchungen, bei denen Krankheiten möglichst frühzeitig festgestellt werden sollen, wie z.B. Krebsfrüherkennung oder Glaukomfrüherkennung;
- Mammographien einschließlich der von Radiologen erstellten Mammographien im Rahmen des Mammographie-Screenings (Zweitbefund);
- Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL-Leistungen), wenn ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht;
- Leistungen zur Kontrolle von gespendetem Blut einschließlich der Blutgruppenbestimmung;
- Alkohol- und Drogengutachten zum Zwecke einer anschließenden Heilbehandlung;
- sonstige Leistungen eines Arztes im Zusammenhang mit einer künstlichen Befruchtung;
- die im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch nach § 218a StGB stehenden ärztlichen Leistungen einschließlich der nach den §§ 218b, 219 StGB vorgesehenen Sozialberatung durch einen Arzt;
- sonstige Leistungen eines Arztes im Zusammenhang mit Empfängnisverhütungsmaßnahmen, einschließlich der Sterilisation bei Mann und Frau;
- betriebsärztliche Leistungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ASiG, unabhängig davon, ob sie im Vertrag einzeln aufgeschlüsselt und abgerechnet werden (BMF-Schreiben vom 4.5.2007, BStBl 2007 I S. 481);
- Gutachten, Berichte und Bescheinigungen, die der schriftlichen Kommunikation unter Ärzten dienen und die medizinische Betreuung im Vordergrund steht;
- kurze Bescheinigungen und Zeugnisse, die nach Nr. 70 GOÄ berechnet werden. Sie sind Nebenleistung zu einer Untersuchungs- und Behandlungsleistung. Dies gilt insbesondere für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
- weitere Leistungen des Kapitels B VI der GOÄ (z.B. Berichte und Briefe), soweit ein enger Zusammenhang mit einer im Vordergrund stehenden Untersuchungs- und Behandlungsleistung gegeben ist;
- Durchführung von Schuleingangsuntersuchungen.
Quelle
Normenkette: UStG § 4 Nr. 14, UStG § 4 Nr. 16
OFD Karlsruhe, Verfügung vom 05.04.2011, S-7170
Dr. Andreas Rohde, RA, Steuerberater in Haufe Online-Redaktion