Steuerhinterziehung: Strafbar trotz Kenntnis des Finanzamts (BGH)

Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO entfällt nicht deshalb, weil das Finanzamt alle für die Steuerfestsetzung bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel kannte.

Hintergrund

Ein Angestellter der Firma P war im Einkauf tätig und kaufte in dieser Funktion diverse Elektronikbauteile aus dem europäischen Ausland ein. Ihm war bekannt, dass die Verkäufe über mehrere in Deutschland ansässige Firmen abgewickelt wurden, die nur zur Erlangung eines unberechtigten Vorsteuerabzugs errichtet worden waren. Trotz dieser Kenntnis und des Wissens, dass keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug bestand, ließ er die Eingangsrechnungen verbuchen und den Vorsteuerabzug für seine Firma vornehmen. Wegen Hinterziehung der Umsatzsteuer in Höhe von 5,18 Millionen Euro wurde er schließlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Der Angestellte wandte ein, dass ein bestimmter Steuerfahnder bereits vor Abgabe der ersten betrügerischen Umsatzsteuervoranmeldung von der „steuerstrafrechtlichen Verdachtslage“ gewusst hatte und die zuständigen Finanz- und Strafverfolgungsbehörden bereits so frühzeitig Kenntnis „von dem verfahrensgegenständlichen Sachverhalt“ erlangt hatten, dass sie einen größeren Schaden hätten verhindern können. Zudem hätte der Steuerfahnder trotz seines Wissens nicht die Mitarbeiter der Firma P informiert.

Entscheidung

Der BGH stellte klar, dass weder das Wissen noch das Schweigen des Steuerfahnders für den Schuld- oder Strafausspruch zu berücksichtigen sind. Der Tatbestand der Steuerhinterziehung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, der die Abgabe unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen erfasst, setzt keine gelungene Täuschung des zuständigen Finanzbeamten voraus. Daher kommt es nicht auf den Kenntnisstand der Finanzbehörden über die Unrichtigkeit der Angaben an. Selbst wenn der Steuerfahnder einen (beweisbaren) Verdacht gehabt hätte, schließt dies eine Steuerhinterziehung nicht aus. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO greift selbst dann ein, wenn der für die Veranlagung zuständige Bearbeiter von allen bedeutsamen Tatsachen Kenntnis hat und sämtliche Beweismittel bekannt und verfügbar sind.

Das Verhalten der Finanzbehörde hat auch keinen Einfluss auf den Strafausspruch. Zwar kann das Verhalten des Fiskus strafmildernd zu berücksichtigen sein, dies gilt jedoch nur dann, wenn das Verhalten der Behörde unmittelbar auf das Handeln des Straftäters Einfluss genommen hat.

Hinweis

Der Straftäter hat nach Auffassung des BGH zudem keinen Anspruch darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um seine Taten zu verhindern.

 

Quelle

BGH, Beschluss vom 14.12.2010, 1 StR 275/10
Christian Ollick, Dipl.-Finw. (FH), Haufe Online-Redaktion

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